„Denk an diese Insel, denk an Mallorca. Denk an das Erste was dir in den Sinn kommt.“

Laut mehreren Studien, welche ich vor allem auf Reisen im Süden Deutschlands durchführen konnte, weiß ich, dass die allermeisten Menschen bei Mallorca an einen Strand an einem sonnigen Tag, denken.

An heute und an diesen Ort würde niemand denken. Heute ist ein nicht erfundener Tag an einem Ort außerhalb der Grenzen des Verstandes. Eine parallele Dimension.

Wir haben bereits versucht, uns mit drei Kaffees und einer Aspirin munter zu machen, aber in unserem Kopf ist es genauso nebelig wie an diesem Februartag in Consell. Natürlich muss diese, nicht erfundene, Geschichte genau hier spielen, an diesem Ort, der auf keiner Karte zu finden ist.

Als wir parken erinnert die Hauptstraße an die Kulisse aus einem Western. Wir sind in der Messerschmiede Campins angekommen, einem über 200 Jahre alten Ort, wo uns der letzte „Trinxetaire“ der Insel (Trinxetaire kommt von „Trinxet“, das traditionelle mallorquinische Messer) empfängt: Joan Campins, starke Hände, herzliche Gesten. Er lädt uns ein, in seiner Werkstatt vor dem Wind Schutz zu nehmen. Als würden wir direkt in einen dicken Baumstamm schauen, sehen wir diesem Raum alle Ringe an, die die Zeit in ihm hinterlassen hat. Einige erzählt uns Joan, andere sehen wir mit unseren Augen, andere spüren wir intuitiv. 

Ein Luftstoß öffnet die Ladentür, die sofort wieder zuschlägt. In diesem, nur kurzen Augenblick, füllt sich der Raum mit dieser paralleldimensionalen Luft, die wir schon draußen wahrgenommen haben. Die schwere Luft ist in den Ort eingedrungen, vielleicht ist sie auch in uns eingedrungen und sie durchdringt alles: das heiße Metall, das Geräusch des Hammers, der die Klingen der Messer formt, das Sägemehl von den Holzarbeiten auf dem Boden.

Komm wieder runter, Stefan, sage ich mir. Ich erinnere mich an meine Kindheit und tue etwas, um meinen Geist wieder einzufangen, ich tue etwas, das mir sehr deutsch vorkommt: Ich erhitze Apfelsaft, mit Ingwer und Orangenscheiben in einem Topf. Das süße Aroma winterlicher Tage. Es zischt… und ich schütte noch einen guten Schuss Gin in den Topf.

Dieses Getränk transportiert mich dann definitiv an einen anderen Ort, ich befinde mich hinter einer Tür mit einem provisorischen roten Vorhang; Eine Stimme erklingt in einer unbekannten Sprache, vielleicht ist es Mallorquin, aber rückwärts; Ein französisches Kind singt Refrains, wie in diesem Film, seine Stimme klingt anders, als wäre es nicht seine eigene. Kalter Schweiß, Perlen am Schnurrbart.

Ich schaue mir die Messer an, die im kleinen Eingang der Messerschmiede hängen und diese Wurstschränke, die man Früher noch benutzt hat. Ich öffne die Tür und gehe raus um frische Luft zu schnappen. Der Wind schlägt mir ins Gesicht, ein rechter Harken, direkt an den Unterkiefer. Durch das Schaufenster kann ich Dani und den anderen Joan sehen, in ihren Blicken liegt etwas Seltsames, etwas Groteskes.

Joan Campins ist eine Figur aus einer anderen Dimension. Einer riesigen und etwas mysteriösen Dimension. Er hat sechs Leben gelebt, die Kunst seiner Vorfahren gelernt und sie an seine Kinder weitergegeben. Joan Campins ist der letzte „Trinxetaire“, ein Messerschmiedemeister und ein weiser Mann, die Hauptfigur eines echten Films und eines geträumten Lebens.

Dies ist die Geschichte eines Morgens an dem die Sterne günstig standen, an dem wir drei schwarze Katzen am selben Ort sahen und in der Ferne Trompeten spielen hörten. Die Geschichte eines Morgens in Campins.

Als wir uns von Consell entfernen schaue ich in den Rückspiegel, die Sonne scheint.